Diagnose PKU – Unser Leben mit einer genetischen Stoffwechselstörung
Unsere erste Tochter Jana wurde im Sommer 2017 geboren. Schwangerschaft und Geburt waren völlig komplikationslos und auch die ersten Tage im Krankenhaus und zuhause waren wunderschön. Umso härter traf uns der Schlag als wir 5 Tage nach der Geburt die Information bekamen, dass das Ergebnis des Neugeborenenscreenings einen auffälligen Befund aufwies und wir schnellstmöglich nach Heidelberg in die Kinderklinik kommen müssten.
Nachdem wir zunächst noch auf einen Irrtum, eine sogenannte „Laborente“ gehofft hatten, bestätigte sich die Diagnose bei unserem stationären Aufenthalt dort: unser kleines, perfektes Wunschkind hatte aufgrund eines genetischen Defekts eine angeborene Störung des Eiweißstoffwechsels namens Phenylketonurie (PKU), die unbehandelt zu schweren Behinderungen führt.
PKU einfach erklärt
Bei einer Phenylketonurie (PKU) handelt es sich um eine angeborenen Defekt im Eiweißstoffwechsel. Genauer gesagt kann die Aminosäure Phenylalanin (Phe) nicht oder nicht ausreichend abgebaut werden. Das führt zu einem Überschuss an Phe und gleichzeitig zu einem Mangel an Tyrosin im Körper der Erkrankten. Zu hohe Phe-Spiegel im Blut wirken toxisch auf Gehirn und Nerven und führen somit unbehandelt zu schweren geistigen und neurologischen Behinderungen. Unter den seltenen angeborenen Stoffwechselstörungen ist die PKU relativ häufig vertreten. Etwa eins von 10.000 Kindern ist betroffen. Da es sich um eine angeborene Krankheit handelt, kann sie nicht geheilt werden. Jedoch können ihre Auswirkungen durch frühzeitiges Erkennen im Neugeborenenscreening und entsprechende Behandlung mittels streng eiweißarmer Spezialdiät meistens vollständig vermieden werden. Ergänzend werden die dadurch fehlenden Aminosäuren durch eine konzentrierte Phe-freie Aminosäuremischung verabreicht. Die Durchführung der Diättherapie kann zu einer großen Herausforderung werden, da i.d.R. der Phenylalaningehalt jeder Mahlzeit berechnet, Spezialnahrungsmittel beschafft und das Kind an die besondere Ernährung gewöhnt werden muss.
Quelle: Infobroschüre Vitaflo
Da saßen wir nun mit unserem eine Woche alten Säugling und wussten zunächst gar nicht, wie es weitergehen sollte. Während unseres Aufenthalts in der Klinik führten wir viele Gespräche mit Ärzten und Diätassistenten. Tausend Informationen prasselten auf uns ein und gleichzeitig wurden die Fragen und Gedanken in unseren Köpfen immer lauter: Was bedeutet es, ein Kind mit einer genetischen Stoffwechselkrankheit zu versorgen? Werden wir in der Lage sein, ein normales Leben zu führen bzw. unserer Tochter ein solches zu ermöglichen? Und vor allem immer wieder die Frage, die uns keiner beantworten konnte: Warum ausgerechnet wir?
Die Betreuung in der Kinderklinik war wirklich gut, aber trotz allem war das Ganze für uns natürlich ein großer Schock. Mein Mann und ich gingen recht unterschiedlich damit um. Während ich in einem tiefen Loch versank und den ganzen Tag hätte heulen können, bemühte er sich immer wieder für mich stark zu sein. Er informierte sich viel in Foren und Internetgruppen und versuchte, sich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Mir wollte das lange Zeit nicht so recht gelingen. Ich hatte jedes Vertrauen in mich und meine Instinkte verloren. Jedes Mal, wenn mir jemand sagte, dass es doch viel schlimmer hätte kommen können, denn die Krankheit sei ja glücklicherweise dank des Screenings so früh festgestellt worden und sei doch auch gut behandelbar, führte das nur dazu, dass ich ein schlechtes Gewissen bekam und mich in meiner Trauer und Verzweiflung unverstanden fühlte. Heute bin ich froh, dass es wenigstens einem von uns damals gelungen ist, trotz all der Ungewissheit ein bisschen Oberwasser zu behalten. Am meisten bedauere ich rückblickend, dass sich meine Unruhe auf mein ansonsten tiefenentspanntes Baby übertragen hatte. Die Hormonumstellung nach der Geburt kam erschwerend hinzu, an ein „normales“, ruhiges Wochenbett war natürlich nicht zu denken und aufgrund der Krankheit musste ich von heute auf morgen abstillen, was mir sehr zusetzte.
Heute, zwei Jahre später, geht es uns hervorragend. An ein Leben mit PKU haben wir uns gewöhnt und Jana entwickelt sich völlig normal wie alle ihre Altersgenossen auch. Entgegen aller Befürchtungen schränkt uns die Krankheit auch im Alltag kaum ein. Bei den vielen Tests, die während unseres stationären Aufenthalts in Heidelberg gemacht wurden, stellten die Ärzte fest, dass sie eine spezielle Form der PKU hat, die mit einem Medikament unterstützend behandelt werden kann. Für uns bedeutet das Glück im Unglück, da die Medizin bei täglicher Einnahme so gut anschlägt, dass keine streng eiweißarme Diät eingehalten werden muss. Ich konnte irgendwann sogar wieder voll stillen und musste bei der Beikosteinführung nicht besonders aufpassen. Aber auch für Patienten, die nicht auf das Medikament ansprechen, ist es in den letzten Jahren deutlich einfacher geworden, die entsprechende Diät einzuhalten, da es mittlerweile eine ganze Industrie gibt, die hier mit speziellen Lebensmitteln, Kochbüchern, etc. unterstützt.
Um den Verlauf der Krankheit bzw. die Blutwerte zu kontrollieren, müssen wir wöchentlich Blut abnehmen und ins Labor nach Heidelberg schicken. Außerdem fahren wir regelmäßig zu ambulanten Kontrollterminen an die Uniklinik, um die körperliche und geistige Entwicklung untersuchen zu lassen. Zugegeben – es war am Anfang ein richtiger Kampf, Jana das Medikament zu verabreichen, dann spuckte unser kleines Speikind auch gerne mal alles wieder aus und vor allem das Blut abnehmen stellte uns zu Beginn vor eine schier unüberwindbare Herausforderung. Auch auf die zusätzlichen Arztbesuche hat sie wie jedes Kleinkind manchmal nicht so richtig große Lust. Aber all das gehörte eben jetzt zu unserem Alltag und je älter unsere Tochter wird, desto einfacher wird es. Nicht nur, weil die Abstände für Blutabnahme und Kontrolluntersuchung mit zunehmendem Alter größer werden, sondern weil sie es gar nicht anders kennt und irgendwann auch besser verstehen wird.
Jeden Tag freuen wir uns daran, unsere glückliche kleine Tochter aufwachsen zu sehen und sind erleichtert, wie sich alles entwickelt hat. Wir haben auf jede Frage, die wir uns damals verzweifelt gestellt haben, eine Antwort bekommen und führen tatsächlich ein ganz normales Leben – mit all dem Chaos und den normalen Sorgen und Nöten, die alle Eltern haben. Sogar die Frage nach dem „Warum“ konnten wir für uns beantworten, denn wir sind uns heute sicher, dass man immer nur so viel aufgelastet bekommt, wie man auch ertragen kann. Also lautet die Antwort für uns einfach: weil wir es können. Unser Kind hat eine Besonderheit und es hat sich uns als Eltern ausgesucht im Vertrauen darauf, dass wir das gemeinsam hinkriegen. Heute macht mich dieser Gedanke sogar richtig stolz.
Rückblickend haben uns drei Dinge in der ersten schwierigen Zeit besonders geholfen:
- der Zusammenhalt als Eltern
- die Unterstützung durch Hebamme, Ärzte & Co
- und schlicht und ergreifend die Zeit.
Aus unserer Sicht ist es wichtig alle Gefühle, die verzweifelten genauso wie die hoffnungsvollen, zuzulassen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Als im Sommer 2019 unsere zweite Tochter gesund und ohne PKU geboren wurde, waren wir darüber sehr erleichtert. Gleichzeitig sind wir froh und dankbar, dass unsere Große dank des Neugeborenenscreenings und der guten Betreuung an der Uniklinik genau dieselben Voraussetzungen für ein glückliches, sorgenfreies Leben hat.
Weitergehende Informationen zum Neugeborenenscreening sowie zum Thema PKU gibt es unter:
- neugeborenenscreening.uni-hd.de
- pkuboard.info
- dig-pku.de
- diverse Facebook-Gruppen