S3-Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin”
Die aktuelle S3-Leitlinie bezieht sich auf Gebärende und Neugeborene, die als sogenannter Einling in Schädellage zwischen der 38. und 42. SSW geboren werden. Sie fokussiert eine frauenzentrierte Geburt, also eine Geburt, welche die Frauen selbstbestimmt und aufgeklärt erleben dürfen. Leitlinien haben einen Empfehlungscharakter, sind aber rechtlich nicht bindend.
Es scheint bahnbrechend zu sein: die erste S3-Leitlinie zur „vaginalen Geburt am Termin“ ist unter der Beteiligung von Eltern entwickelt worden. Sie erschien im Januar 2021. Federführend waren die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi) und die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) dabei. 16 weitere Parteien wirkten als Patientinnen Vertretung aktiv mit.
Die Leitlinien werden in vier S-Stufen eingeteilt (S1, S2k, S2e, S3). Die Einteilung in S3 erhält man, wenn man „die höchste methodische Qualität mit umfangreicher Recherche und Überprüfung wissenschaftlicher Standards“ (https://www.mother-hood.de/aktuelles/, Presse, 8.Januar 2021) nachweisen kann.
Die Leitlinie unterstützt Frauen dabei, eine selbstbestimmte, frauenzentrierte Geburt erleben zu können. Konkret heißt das, dass die Bedürfnisse und Rechte der Frauen in der Geburtshilfe stärker in den Fokus gerückt werden. Es bedeutet außerdem, dass die Schwangeren im Vorfeld verständliche Informationen erhalten, um sich bewusster für/gegen medizinische Eingriffe entscheiden und diese Informationen mit dem Geburtsteam besprechen zu können. Im Folgenden findest du, liebe Mami, ein paar zentrale Punkte der S3-Leitlinie.
Eins-zu-Eins-Betreuung
Ganz offiziell werden nun, dank der neuen Leitlinie, zwei zentralen Faktoren der frauenzentrierte Geburt anerkannt: das Wohlbefinden der Frau bei der Geburt und ein respektvoller Umgang. Frau zentriert bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Gebärende, deren Wohlbefinden, ihre Rechte, Bedürfnisse und Wünsche im Fokus der Geburt stehen. Dazu empfiehlt die S3-Leitlinie eine Eins-zu-Eins-Betreuung während der Geburt, was sich auch viele Frauen wünschen. Gut zu wissen: eine Eins-zu-Eins-Betreuung wirkt sich nicht nur auf die Frau positiv aus, sondern auch auf die medizinische Notwendigkeit einer risikoarmen Geburt.
Somit wurde der standardmäßigen Überwachung mittels CTG (Herzton- und Wehenschreiber) eine kontinuierliche Betreuung an die Seite gestellt. Durch eine Eins-zu-Eins-Betreuung müsse nämlich nicht zwangsläufig das CTG eingesetzt werden. Die kindlichen Herztöne können z.B. auch durch das Hörrohr überwacht werden. Studien haben gezeigt, dass der Einsatz eines CTG keine nennenswerten Vorteile für Mutter und Kind ergab.
Kritische Punkte, die der Leitlinie fehlen
Dammschnitt (Episiotomie)
Die Leitlinie spricht sich klar gegen den routinemäßigen Dammschnitt aus. Sollte ein Dammschnitt nötig sein, empfiehlt sie eine einheitliche Schnittführung. Grundsätzlich ist diese Empfehlung kritisch zu betrachten, da ein Dammschnitt als ein massiver Eingriff am Körper der Frau zu sehen ist, der leider mehr Schaden anrichten kann als wirksam zu unterstützen. Durch einen Dammschnitt kann die weibliche Klitoris verletzt werden, was sich noch Jahre später negativ auf das Sexualleben der Frau auswirken kann. Ein nennenswerter Vorteil für Mutter und Kind kann nicht gesehen werden.
Liebe Mami, ich möchte dir keine Angst machen. Im Gegenteil, ich möchte dich ermutigen und stärken. Natürlich kann es sein, dass es bei deiner Geburt unweigerlich zu dem Punkt kommt: Dammschnitt ja oder nein? Suche lieber im Vorfeld das Gespräch mit dem Geburtsteam zu genau diesem Thema – und natürlich zu den Themen, die dich bewegen.
Späteres Abnabeln
Die Leitlinie empfiehlt, nach spätestens fünf Minuten abzunabeln. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass es viele Vorteile für das Neugeborene hat, wenn mit dem Durchtrennen der Nabelschnur etwas gewartet wird. Sollte eine Mutter länger als fünf Minuten warten wollen, so soll diese Entscheidung respektiert werden. Gerade in Kreißsälen, wo standardmäßig festgelegt ist, dass das Abnabeln direkt nach der Geburt oder innerhalb einer Minute passieren soll, ist dieses Know-How für dich wichtig. Besprich am besten mit deinem Partner/ deiner Begleitperson unter der Geburt, wie dein Wunsch ist, damit ihm entsprochen werden kann.
Schutz des Beckenbodens
Dieser sehr wichtige Aspekt Beckenboden fehlt leider gänzlich in der Leitlinie. Beckenbodenschäden infolge der Geburt sind ein großes Thema bei vielen Frauen, das dringend Aufmerksamkeit braucht. Es herrscht bspw. viel Unsicherheit beim Umgang und der Auswirkung von Beckenbodentraining während der Schwangerschaft. Auch innerhalb der Geburtshilfe, z.B. unterstützende Maßnahmen von Saugglocke oder Zange unter der Geburt, sind viele Bereiche noch zu wenig erforscht. Gerade deshalb ist es so schade, dass die Leitlinie nicht auf den Beckenboden, dessen Schutz und präventive Unterstützung eingeht.
Mehr zum Thema Beckenboden (Aufbau, Funktion, Stabilität) findest du im Blog. Ich biete dir auch einen speziellen Kurs an, um deinen Beckenboden vor und nach der Geburt zu unterstützen.
Wichtige Empfehlungen aus Elternsicht
Sehr positiv ist, dass die Leitlinie viele Empfehlungen zu medizinischen Eingriffen während der vaginalen Geburt bereit hält. Auch wenn viele Empfehlungen, gerade in den Bereichen Umgang, Beratung und Aufklärung von Gebärenden, selbstverständlich und banal klingen, so ist es ein wichtiger Schritt, exakt diese festzuhalten. Und dennoch gibt es, wie immer, Luft nach oben. Aber der erste Schritt in die richtige Richtung ist gemacht – was ein großer Meilenstein ist.
Folgende Empfehlungen sind genau auf den Punkt formuliert und aus Sicht der Schwangeren/ Gebärenden wichtig:
- „Zu einer Frau zentrierten und sicheren Geburtsbegleitung gehört, die Bedürfnisse von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen zu berücksichtigen.
- Die Eins-zu-Eins-Begleitung der Geburt soll gewährleistet werden.
- Frauen erhalten Zugang zu evidenzbasierten, also wissenschaftlich fundierten, Informationen, damit sie wohlüberlegt entscheiden können.
- Die Gebärenden werden darin unterstützt, den Geburtsschmerz nach ihren Wünschen und anhand einer Bandbreite unterschiedlicher Maßnahmen zu bewältigen.
- Frauen sollen zu allen Geburtsorten und Geburtsmöglichkeiten objektiv und ohne persönliche Sichtweisen und Urteile der Fachperson beraten werden.
- Mütter sollen ermutigt werden, so bald wie möglich nach der Geburt Haut-zu-Haut-Kontakt zu ihrem Neugeborenen zu haben.
- „ Alle relevanten Gesundheitsberufe in der Geburtshilfe sollen zusammenarbeiten.“
(https://www.mother-hood.de/aktuelles/, Presse, 8.Januar 2021)
Liebe Mami, wenn du dich noch weiter über die S3-Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin“ informieren möchtest, so klicke doch einfach auf den unten stehenden Link. Viel Spaß beim Lesen!
Links:
- https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-083.html (Die Leitlinie „Vaginale Geburt am Termin“; Kurzfassung, Langfassung, Leitlinienreport)